Extremes Körpergewicht als Stigma

- Die Darstellung des menschlichen Körpers ist heutzutage zunehmend durch Extreme geprägt. In besonderem Maße bedienen sich die Medien sehr dünner beziehungsweise dicker Körper. Eine Kumulation erfährt diese Entwicklung im Internet und vor allem den stark visuell geprägten sozialen Netzwerken. Dort breiten sich zum Teil gegensätzliche Körperideale rasant aus und erreichen eine große Zahl von Nutzern, darunter besonders Jugendliche und junge Erwachsene. Ein Beispiel hierfür stellt der Trend zum „Thigh Gap“ dar, bei dem durch verschiedene Maßnahmen eine sichtbare Lücke zwischen den Oberschenkeln angestrebt wird, während sich die Knie berühren. Als Gegenbewegung dazu etablierte sich die „Mermaid Gap“, bei der sich die Oberschenkel explizit „meerjungfrauenartig“ berühren sollen. Ein zunehmendes Phänomen stellt auch das „body shaming“ dar. Dabei geraten Personen aufgrund ihres Äußeren, das nicht einem bestimmten Schönheitsideal entspricht, in die öffentliche Kritik oder werden Ziel von Mobbing.

Trotz unterschiedlicher Bewegungen und Trends zeigt sich, dass ein großer Teil der Bevölkerung negativ gegenüber Menschen eingestellt ist, deren Gewicht von der Norm abweicht. Prof. Dr. Claudia Luck-Sikorski lehrt an der Hochschule für Gesundheit in Gera und untersucht die gesellschaftliche Stigmatisierung bei extremem Körpergewicht und stellte ihre Ergebnisse in diesem Jahr mehrfach öffentlich vor. Es zeigt sich, dass die Schwere und der krankhafte Charakter extremer Gewichtsabweichungen oft vernachlässigt und die Ursache überwiegend in Persönlichkeitsmerkmalen gesehen wird. Besonders Übergewicht und Adipositas werden mit Willensschwäche und Faulheit assoziiert.

Stigmatisierung kann sich als chronischer Stressor auswirken und das Ess- und Bewegungsverhalten nachteilig beeinflussen. So kann als Antwort darauf die zugeführte Nahrungsmenge steigen und sportliche Aktivität in der Öffentlichkeit gemieden werden. Aktuell wird auch die mediale Darstellung von stark übergewichtigen Körpern ohne Gesicht den sogenannten „faceless fatties“ kritisiert. Ursprünglich zum Schutz der Persönlichkeitsrechte gedacht, scheint diese Praktik weiter zur Depersonalisierung und Stigmatisierung Übergewichtiger beizutragen. Während die Stigmatisierung bei Adipositas gut untersucht ist, steht die Forschung bei Anorexia nervosa und Bulimie erst am Anfang. Erste Untersuchungen zeigen, dass ebenfalls Personen mit sehr niedrigem Körpergewicht Stigmatisierung ausgesetzt sind. Es scheint jedoch auch, dass sie von den Betroffenen stärker antizipiert als tatsächlich erfahren wird.

Laut Prof. Dr. Luck-Sikorski ist Stigmatisierung keine Motivation, sondern führt in einen Teufelskreis. Dieser fördert zunehmende Isolation und sozialen Rückzug. Ferner kann sie den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen. Aus Angst vor Bewertung und Ablehnung nehmen Betroffene medizinische Untersuchungen und Behandlungen oder andere Hilfsangebote nicht oder nur verzögert wahr. Die Erforschung der Stigmatisierung bei stark Über- und Untergewichtigen bleibt auch in den kommenden Jahren ein aktuelles Thema. In Zukunft trägt sie hoffentlich zur Entstigmatisierung sowie der Förderung von Empathie bei und ebnet den Weg für eine effektivere Behandlung der Betroffenen.

Bild 1  © “JPC-PROD” / Fotolia.com

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